Was ist Neuroplastizität?

 

Unter dem Begriff Neuroplastizität versteht man die Fähigkeit des Gehirns, seinen Aufbau und seine Funktionen so zu verändern, dass es optimal auf neue äußerliche Einflüsse und Anforderungen reagieren kann. Dabei werden beispielsweise neue Verbindungen zwischen einzelnen Nervenzellen (Synapsen) gebildet. Dies ermöglicht die Interaktion mit unserer Umwelt und unterstützt Lernvorgänge aller Art. Dank der Neuroplastizität des Gehirns können wir Instrumente und Sprachen erlernen oder uns neue Bewegungsabläufe antrainieren, um in sportlichen oder handwerklichen Tätigkeiten besser zu werden. Doch auch bei der Regeneration des Gehirns nach akuten Schädigungen spielt Neuroplastizität eine wichtige Rolle: Nur so können verlorene Fähigkeiten wiedererlangt werden.

Welche Prozesse stecken hinter Neuroplastizität?

Das menschliche Gehirn ist ein hochkomplexes Organ mit etwa hundert Milliarden Nervenzellen. Im Rahmen der Neuroplastizität können diese wiederum jeweils mehr als tausend Verbindungen untereinander aufbauen. Für diese Prozesse benötigt das Gehirn große Mengen an Energie und die richtigen Nähr- und Botenstoffe. Entscheidend für die Versorgung des Gehirns ist unter anderem die sogenannte Blut-Hirn-Schranke. Sie ist die Barriere zwischen Blutkreislauf und zentralem Nervensystem und hat eine wichtige Schutzfunktion inne. Dort werden schädliche Stoffe aus dem Blut gefiltert und das empfindliche chemische Gleichgewicht aufrechterhalten, welches Voraussetzung für das Funktionieren der komplexen Abläufe im Gehirn ist. Wie vor Kurzem erforscht wurde, finden im Bereich der Blut-Hirn-Schranke auch grundlegende Prozesse der Zellerneuerung statt. Das dortige Zusammenspiel von kleinen Blutgefäßen und Stammzellen schafft die idealen Voraussetzungen für Neuroplastizität. Selbst bei Erwachsenen konnte in diesem Bereich die Bildung von immer neuen Nervenzellen nachgewiesen werden. Die neugebildeten Zellen wandern anschließend in beanspruchte oder geschädigte Hirnregionen, werden dort integriert und schaffen neue Verknüpfungen.

Wie wirkt sich Neuroplastizität auf die Rehabilitation nach einem Schlaganfall aus?

Das menschliche Gehirn kann nachweislich bis ins hohe Alter wandlungs- und anpassungsfähig bleiben. Diese Fähigkeit zur Neuroplastizität sorgt dafür, dass Funktionen wiedererlangt werden können, die zum Beispiel durch einen Schlaganfall oder eine Hirnerkrankung verloren gegangen sind. Nach einer Schädigung des Gehirns wird deshalb möglichst schnell durch spezielle Therapieansätze versucht, die Neuroplastizität des Gehirns anzuregen und die Regeneration geschädigter Nervenzellen zu unterstützen.

Wie kann Neuroplastizität in der Schlaganfall-Reha gefördert werden?

In der Aphasie-Therapie geht es darum, das Sprachvermögen der Betroffenen so weit wie möglich wiederherzustellen. Dabei arbeiten Therapeuten die individuellen sprachlichen Defizite der Patienten heraus und entwickeln einen personalisierten Therapieplan, um eben diese Defizite gezielt zu verbessen. Art und Schweregrad der Übungen werden dabei optimal auf den einzelnen Betroffenen und dessen Krankheitsbild zugeschnitten. Ein Tablet mit aufgespielter Neolexon-App kann vielseitig in diese Therapie eingebunden werden. Die Software bietet Übungen aus vier unterschiedlichen Bereichen:

Aktivierung der Neubildung von Nervenzellen

Untersuchungen ergaben, dass die Entstehung von neuen Nervenzellen im Gehirn besonders durch körperliche Betätigung gefördert werden kann. Über 80 Prozent der Leistungsfähigkeit des Gehirns können direkt durch sportliche Aktivitäten beeinflusst werden. Hierbei empfehlen sich regelmäßige, nicht zu intensive Bewegungsübungen, mit welchen möglichst frühzeitig nach dem Schlaganfall begonnen werden sollte.

Schutz der Nervenzellen auf dem Weg in geschädigte Hirnregionen

Bei einer akuten Hirnschädigung machen sich neugebildete Nervenzellen auf den Weg in das betroffene Gewebe. Allerdings sterben die meisten dieser Zellen nach kurzer Zeit wieder ab. Um dies zu verhindern, werden in der Schlaganfall-Reha Medikamente eingesetzt, die für möglichst günstige Bedingungen sorgen, damit neue Nervenzellen erfolgreich in geschädigte Hirnregionen integriert werden können.

Förderung neuer Nervenverbindungen  

Die gezielte Integration von neuen Nervenzellen in geschädigte Bereiche des Gehirns kann auch durch gewissenhaftes Üben gefördert werden. Zeigt ein Patient beispielsweise Lähmungserscheinungen an einer Hand, so wirkt sich regelmäßiges Fingertraining positiv auf die Neuroplastizität aus. Dabei ist besonders die Frequenz der Übungen entscheidend. Erst ab etwa hundert Wiederholungen kann mit der Ausbildung neuer Synapsen gerechnet werden. Allerdings kann auch schon die bloße Vorstellung der auszuführenden Bewegung Effekte erzielen.

Verfestigung der neugebildeten Synapsen

Die neugebildeten Nervenverbindungen werden besonders in passiven Ruhephasen gestärkt. Deshalb tragen die Reduktion von Stress, unterschiedliche Entspannungsübungen und erholsamer Schlaf wesentlich zum Rehabilitationserfolg bei. In klinischen Studien führt auch der tägliche Hörgenuss von selbst gewählter Musik zu einer signifikanten Verbesserung der gemessenen Neuroplastizität.

All die oben genannten Komponenten werden in Betracht gezogen, wenn das Medical Park Expertenteam das individuelle Reha-Programm für Schlaganfall-Patienten zusammenstellt. Unsere behandelnden Ärzte arbeiten darüber hinaus stets an der innovativen Weiterentwicklung von Therapieansätzen, um das enorme Regenerationspotential des menschlichen Gehirns in der Reha optimal ausschöpfen zu können.

Welche neuen Möglichkeiten bietet das Zentrum für Klinische Neuroplastizität (ZKNP) im Medical Park Loipl?

Das neugegründete Zentrum für klinische Neuroplastizität steht nicht nur Patienten mit akuten Hirn-Schädigungen durch Schlaganfall oder Hirntrauma offen. Auch chronisch-neurologische Erkrankungen wie beispielsweise Multiple Sklerose oder die Parkinson‘sche Krankheit können dort nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen behandelt werden. Erstmals in Deutschland kommt hier das ganzheitliche Konzept für Neurorehabilitation zum Einsatz, welches Prof. Dr. Peter Rieckmann vom Medical Park Loipl Bischofwiesen gemeinsam mit seinem multidisziplinären Team entwickelt hat.

Grundpfeiler dieses Konzepts sind die fünf Komponenten der Neuroplastizität:

1. Motivation (Information & Ziele)

Entscheidend für jede Therapie ist die Motivation und aktive Mitarbeit des Patienten. Durch die Festlegung individueller Therapieziele, die digitale Erfassung des Therapiefortschritts und begleitende multimediale Informationsangebote wird dies im ZKNP speziell gefördert.

2. Repetition (Hoch-frequentes Üben)

Um die Bildung neuer Verbindungen zwischen Nervenzellen im Gehirn zu unterstützen, sollten alltagsspezifische Übungen der gestörten Funktionen mindestens 100-bis 150-mal durchgeführt werden. Digitale Trainingsmöglichkeiten und der Einsatz von Tablets, virtueller Realität (VR) und multi-sensoriellem Feedback im ZKNP steigert Motivation und Durchhaltevermögen der Patienten dabei nachweislich.

3. Training (Fitness & Ausdauer)

Regelmäßiges körperliches Ausdauertraining fördert nicht nur die Fitness und Mobilität, sondern auch die Neubildung von Nervenzellen im Gehirn. Auf Basis sportmedizinischer Diagnostik werden dafür im ZKNP individuelle Trainingspläne durch Sportwissenschaftler und –Therapeuten entworfen und Tele-Rehabilitationsprogramme zur Fortführung des Trainings zuhause bereitgestellt.

4. Stimulation (Vorbereitung des Gehirns)

Bestimmte Tätigkeiten, Sinneseindrücke und Nährstoffe können die Bereitschaft des Gehirns zur Neuroplastizität aktivieren. Im ZKNP werden deshalb Maßnahmen zur Stimulation des Gehirns – wie zum Beispiel spezielle Medikamente und Nahrungsmittel, Musik oder angenehme Gerüche – aktiv in die Therapie integriert.

5. Konsolidierung (Nachhaltigkeit der Wirkung)

Zur Stärkung der neugebildeten Nervenverbindungen und für die Nachhaltigkeit des Reha-Effektes ist erholsamer Schlaf essentiell. Im ZKNP stehen deshalb Stressreduktion, effektive Schmerz- und Depressionsbehandlungen sowie Entspannungs- und Achtsamkeitstraining zur Verbesserung der Schlafqualität im Zentrum des Behandlungskonzepts.

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